Hochwertige Forschungen klären die Widersprüche zwischen unterschiedlichen Studientypen zu den gesundheitlichen Wirkungen von Süßstoffen

Wissenschaftlichen Nachrichten vom 41. Internationalen Symposium für Diabetes und Ernährung, dem 31. Europäischen Adipositas-Kongress und dem Webinar ISA-FINUT

Das Wichtigste in Kürze:

  • Die Analyse der Daten aus Beobachtungsstudien anhand fortschrittlicher Methoden zur Eindämmung von Verzerrungen verwirft die Annahme, wonach der Verzehr von Süßstoffen mit einer Gewichtszunahme verbunden ist
  • Prospektive Kohortenstudien mit Substitutionsanalyse zeigen eine Senkung des Risikos von Adipositas und kardiometabolischer Erkrankungen, wenn kalorienarm/kalorienfrei gesüßte Getränke als Ersatz für mit Zucker gesüßte Getränke in der Ernährung eingesetzt werden
  • Neue Erkenntnisse aus Beobachtungsstudien mit fortschrittlichen Methoden sind kohärent mit den Ergebnissen aus klinischen Studien, sie bestätigen die Unschädlichkeit und einen bescheidenen Vorteil bei der Verwendung kalorienarmer/kalorienfreier Süßstoffe für die Gewichtsregulierung bei Menschen, die unter Übergewicht und Adipositas leiden und dem Risiko eines Typ-2-Diabetes ausgesetzt sind

 

Die Vorteile der Verwendung kalorienarmer/kalorienfreier Süßstoffe (LNCS) als Ersatz für Zucker in der Ernährung werden in der Literatur oft in Frage gestellt. Grund dafür sind widersprüchliche Ergebnisse, die aus unterschiedlichen Studientypen berichtet werden. Klinische Studien zeigen durchgehend einen bescheidenen, aber signifikanten Vorteil bei der Verwendung von LNCS zur Kontrolle des Blutzuckers und des Gewichts, und keine Hinweise auf Schädlichkeit. Beobachtungsstudien hingegen berichten gelegentlich über einen positiven Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Süßstoffen und einem erhöhten Risiko von Adipositas oder von kardiometabolischen Erkrankungen. 2023 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu besseren Forschungen aufgerufen, um diese Frage zu klären. Die Wissenschaftler reagieren darauf mit neuen, hochwertigen Studien, die neue Erkenntnisse liefern und zur Auflösung dieser Widersprüche beitragen.

Dieser Artikel erörtert die neuen Erkenntnisse, die auf den jüngsten wissenschaftlichen Veranstaltungen vorgestellt wurden, darunter das  41. Internationale Symposium zu Diabetes und Ernährung, der 31. Europäische Adipositas-Kongress und das Webinar ISA-FINUT.

 

Prospektive Kohortenstudien unter Verwendung robusterer Methoden zur Aufnahmebewertung zeigen protektive Zusammenhänge und sind mit den Ergebnissen aus klinischen Studien kohärent

Beobachtungsstudien neigen aufgrund von residualen Störfaktoren (Confounders), umgekehrter Kausalität und selbstberichteter Nahrungsaufnahme zu Verzerrungen.1 Die Fortschritte bei den analytischen Methoden können diese Verzerrungen jedoch eingrenzen, damit werden einige der Einschränkungen des Studiendesigns bei Beobachtungsstudien gemildert und robustere Zusammenhänge aufgezeigt.2

Die meisten Beobachtungsstudien zu den gesundheitlichen Auswirkungen von LNCS verwenden traditionelle, selbstberichtete Ernährungsdaten, die im Allgemeinen zu einem einzigen Zeitpunkt an der Baseline beurteilt werden. Das kann zu einer Fehleinschätzung des Verzehrs von LCNS führen, und Veränderungen bei den Ernährungsgewohnheiten werden nicht erfasst. Neue Methoden, wie die Verwendung von LNCS-Biomarkern für eine präzisere Einschätzung der Exposition, wiederholte Bewertungen zur Erfassung von Änderungen bei der Nahrungsaufnahme sowie eine Substitutionsanalyse zur Modellierung der LNCS als Ersatz für kalorienhaltige Zucker, können die Verzerrung bei Beobachtungsstudien reduzieren.1,2

Eine Studie, die Teil des EU-finanzierten SWEET-Projekts war, verglich zwei traditionelle Beurteilungsmethoden für die selbstberichtete Nahrungsaufnahme mit der Aufnahmebewertung anhand eines neu entwickelten Ansatzes mit einem Urin-Biomarker und kam zu dem Schluss, dass die Selbstauskunft des LNCS-Verzehrs eine Verzerrung bedingt. Die Ergebnisse zeigten eine bedeutende Unterschätzung bei den selbstberichteten Angaben der LNCS-Nutzer verglichen mit dem präziseren Ansatz mit Biomarkern.3 Biomarker für LNCS sind eine objektivere Methode zur Aufnahmebewertung und können dazu beitragen, den Zusammenhang zwischen LNCS und Gesundheit in zukünftigen Beobachtungsstudien weiter zu klären. Vorläufige Ergebnisse, die auf zwei Kongressen vorgestellt wurden, zeigten keinen Zusammenhang zwischen dem Verzehr von LNCS, der im Rahmen des SWEET-Projekts mit Hilfe von Biomarkern bewertet wurde, und den Änderungen des Körpergewichts über einen Zeitraum von 2 Jahren.

In vergleichbarer Weise wurden auch keine nachteiligen Zusammenhänge zwischen dem Verzehr von LNCS und Adipositas oder kardiometabolischen Erkrankungen aus prospektiven Kohortenstudien erkennbar. Hier wurde eine Änderungsanalyse mit aufeinander folgenden Beurteilungen und eine Substitutionsanalyse verwendet, die LNCS als Ersatz für mit Zucker gesüßte Getränke modellierte und Adipositas als Baseline definierte.4 Eine systematische Übersicht über 14 prospektive Kohortenstudien unter Verwendung dieser fortschrittlichen Methoden zeigte, dass eine Zunahme des LNCS-Verzehrs mit einem niedrigeren Gewicht und einem geringeren Hüftumfang assoziiert war.4 Darüber hinaus war das Ersetzen von mit Zucker gesüßten Getränken durch LNCS-Getränke mit einem niedrigeren Gewicht und einem geringeren Risiko von Adipositas, koronaren Herzerkrankungen und kardiovaskulärer Mortalität assoziiert, ohne jede schädliche Wirkung auf alle anderen kardiometabolischen Ergebnisse, einschließlich Typ-2-Diabetes.2 Dies steht im Einklang mit einer Substitutionsanalyse mit US-amerikanischen Daten aus drei umfangreichen prospektiven Kohortenstudien, die auf dem Webinar ISA-FINUT vorgestellt wurden. Die Daten zeigen, dass das Ersetzen von mit Zucker gesüßten Getränken durch LNCS-Getränke mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit einer Gewichtszunahme assoziiert war.

 

Ergebnisse aus Beobachtungsstudien mit fortschrittlichen Methoden sind kohärent mit den Beweisen aus Studien

Die Bedeutung dieser neuen Erkenntnisse aus Beobachtungsstudien, die eine moderne Studienmethodik verwenden, liegt darin, dass sie zur Klärung der Widersprüche in der Literatur zu den gesundheitlichen Auswirkungen von LNCS beitragen. Diese Beobachtungsergebnisse stimmen mit den Erkenntnissen aus randomisiert kontrollierten Studien (RCT) überein, einem Studiendesign, das eine kausale Inferenz ermöglicht.2 Laut den Bewertungen in systematischen Übersichten zeigen klinische Versuche durchgehend, dass LNCS den Gewichtsverlust unterstützen können, wenn sie anstelle von Zucker verwendet werden.5,6 Neue Studien, die auf den letzten Kongressen vorgestellt wurden, zeigen auch einen bescheidenen zusätzlichen Nutzen für die langfristige  Gewichtskontrolle, der möglicherweise auf eine größere Zufriedenheit mit der Ernährung zurückzuführen ist, weil kalorienarme/kalorienfreie Süßstoffe den Genuss des süßen Geschmacks ohne die Kalorien aus dem Zucker ermöglichen.7

 

Klinische Praxisrichtlinien auf der Grundlage der besten verfügbaren Erkenntnisse

Die Bedeutung, die der Entwicklung evidenzbasierter Ernährungsrichtlinien zukommt, wurde auf dem 41. Internationalen Symposium für Diabetes und Ernährung unterstrichen, das ein Jahr nach der Veröffentlichung der europäischen Empfehlungen für die diätetische Diabetesbehandlung durch die Studiengruppe für Diabetes und Ernährung der Europäischen Gesellschaft für Diabetologie stattfand.8 Nach einer Reihe von systematischen Übersichten der verfügbaren Literatur verfasste die Gruppe mehrere evidenzbasierte Ernährungsempfehlungen, unter anderem auch zum Verzehr von Zucker und Süßstoffen. Basierend auf den besten verfügbaren Erkenntnissen aus RCT und Beobachtungsstudien mit fortschrittlichen Methoden zur Reduzierung von Verzerrungen wurde die Verwendung von LNCS als Ersatz für Zucker in Getränken und Nahrungsmitteln als Strategie zur Senkung des Risikos empfohlen.8

  1. Ashwell M, Gibson S, Bellisle F, et al. Expert consensus on low-calorie sweeteners: facts, research gaps and suggested actions. Nutr Res Rev. 2020 Jun;33(1):145-154
  2. Khan TA, Lee JJ, Ayoub-Charette S, et al. WHO guideline on the use of non-sugar sweeteners: a need for reconsideration. Eur J Clin Nutr. 2023 Nov;77(11):1009-1013
  3. Buso ME, Boshuizen HC, Naomi ND, et al. Relative validity of habitual sugar and low/no-calorie sweetener consumption assessed by food frequency questionnaire, multiple 24-h dietary recalls and urinary biomarkers: an observational study within the SWEET project. Am J Clin Nutr. 2024 Feb;119(2):546-559
  4. Lee JJ, Khan TA, McGlynn N, et al. Relation of Change or Substitution of Low- and No-Calorie Sweetened Beverages With Cardiometabolic Outcomes: A Systematic Review and Meta-analysis of Prospective Cohort Studies. Diabetes Care. 2022 Aug 1;45(8):1917-1930
  5. Laviada-Molina H, Molina-Segui F, Pérez-Gaxiola G, et al. Effects of nonnutritive sweeteners on body weight and BMI in diverse clinical contexts: Systematic review and meta-analysis. Obes Rev. 2020 Jul;21(7):e13020
  6. Rogers PJ, Appleton KM. The effects of low-calorie sweeteners on energy intake and body weight: a systematic review and meta-analyses of sustained intervention studies. Int J Obes (Lond). 2021 Mar;45(3):464-478
  7. Harrold JA, Hill S, Radu C, et al. Non-nutritive sweetened beverages versus water after a 52-week weight management programme: a randomised controlled trial. Int J Obes (Lond). 2024 Jan;48(1):83-93
  8. Diabetes and Nutrition Study Group (DNSG) of the European Association for the Study of Diabetes (EASD). Evidence-based European recommendations for the dietary management of diabetes. Diabetologia. 2023 Jun;66(6):965-985